Eine Bürgerbewegung – 60 Jahre Judo in Schmalkalden

Legende – verdammt schnell gehen heutzutage Superlative über die Lippen. Wenn das Wort Legende angebracht ist, dann für einen Verein und seine Protagonisten, der 1958 in Schmalkalden seine Anfänge nahm. Mit einer damals unbekannten und völlig neuen Sportart.

Schmalkalden – Was in jenem Jahr auf einer Wiese in der Kirschenkehle begann und im Oktober im Teichhotel in die Gründung des „1. Judosportvereins“ mündete, das hat bis heute nicht nur Bestand. Nein. Der Judosport in Schmalkalden, er erfuhr dank derer, die ihn trugen, eine stete stabile Weiterentwicklung. Das bereits 60 Jahre oder, wenn man so will, über drei bis vier Generationen hinweg. Eine „Bürgerbewegung“ nannte in seiner Laudatio vor zehn Jahren zum „50.“  Bürgermeister Thomas Kaminski, selbst ein Gelbgürtelträger, Judo in Schmalkalden.

Für all das steht ein Name. Hans-Dieter Clemen, den alle nur Mandy nannten, oder schlicht „den Judovater“. Er schloss als Fußballer in Leipzig Bekanntschaft mit dem Judosport, etablierte ihn mit einigen Mitstreitern in Schmalkalden, und er entwickelte ihn ein halbes Jahrhundert, bis zu seinem Tod im April 2010, kurz nach seinem 73. Geburtstag. Mandy Clemen, Träger des 6. DAN. Die Sporthalle am Siechenrasen erhielt seinen Namen, seine Sportkameraden etablierten bereits im Herbst 2010 ihm zu Ehren ein Gedenkturnier. Mandy ist unvergessen auch ohne dies.

Damals wollte niemand sie haben, jene verwegenen jungen Burschen um Hans-Dieter „Mandy“ Clemen. Vergeblich zogen sie von Sportverein zu Sportverein, von Halle zu Halle. Er war vielen suspekt in der Provinz, dieser aus Asien eingeführte Kampfsport, dessen japanische Ausdrücke (Uke, Tori, Judogi, Nippon, Kyu) keiner verstand. Erst fünf Jahre zuvor hatte sich in Hamburg der Deutsche Judo Bund (DJB) gegründet. Sie bissen sich durch, dank Mandys nie versiegendem Willen. In dem Leipziger Armin Lindner und Hartmut Franz aus Mengersgereuth-Hämmern, der den BFA mitgründete, fand er einen Helfer, erste Weggefährten waren Klaus Hopf aus Bad Liebenstein und der Meininger Horst Schenck. 1964 luden die Judoka, inzwischen Sektion der BSG „Motor“, zum ersten Wettkampf in die Fachwerkstadt ein und wurden erstmals Mannschaftsmeister im Bezirk Suhl.

Seitdem brachte Schmalkalden DDR- und Deutsche Meister hervor, Medaillengewinner bei Weltmeisterschaften, 53 (!) DAN-Träger, hat international einen Ruf. Genauso wichtig ist die innere Chemie des Vereins. Die Jungen wachsen kontinuierlich in die Aufgaben, die die Alten notgedrungen abgeben. Als Trainer, als Kampfrichter, als Helfer. Selbst heute unter nicht gerade förderlichen gesellschaftlichen Rahmenbedingungen stehen Generationen zusammen, vertrauen Eltern ihren Nachwuchs, kaum dem Kindergartenalter entwachsen, dem Verein an, wo sie ausgebildet werden, um den Judosport über Jahre hinweg zu leben, um nicht selten Meister und später selbst Träger und Stützen des Vereins zu werden. Wie viele Eltern, die selbst Lust auf Judo bekommen. Auf all das sind die Schmalkalder Judoka um Angelika Wilhelm, die sie seit Mandys Tod führt, vor allem stolz.

Sie ist Judoka seit 1974 und somit eine aus der Riege der „Ältesten“, die heute noch dabei sind. Rüdiger Scheerschmidt, der mit Clemen erste  DAN-Träger des Vereins, gehört schon seit 1966 dazu, Klaus-Peter Loch seit 1970, Andreas Ullrich seit 1976. Beide wurden im Jahr der Gründung geboren. Dutzende weitere Namen wären zu nennen. Die elffache DDR-Meisterin Petra Sonntag (1974 bis 1987), mehrfache Meister wie Heike Marschner, Claudia Funk, Anja Kühhirt. Karin Wolf. Danny Paul Kiel, Bronzemedaillengewinner der EM 2007, Theresa Döhrer, Stephanie und Susanne Günsch, Tobias Danz, Janina Gürth. Nancy Gläser, Christian Zeilermeier. Nur die Spitzen, wie gesagt.

Etwas mehr muss ganz einfach gesagt werden zu Angelika Wilhelm. Ihr wurde vom Ehrenrat des DJB 2015 der 7. DAN verliehen, als bisher einziger Frau Deutschlands. Ein Jahr später das Bundesverdienstkreuz. Nach ihrer aktiven Karriere schlug sie eine vielleicht noch erfolgreichere als Kampfrichterin ein, die bis zu unzähligen Einsätzen bei Welt- und Europameisterschaften führte, zu Einsätzen bei vier Paralympics für die sehschwachen und blinden Sportler seit 2004 und 2014 in der Ernennung als Referee Director der IBSA (Internationale Blind Sport Association) gipfelte. Für den Judosport bereist Angelika die Welt in guter Gewissheit, dass es in ihrer Abwesenheit zu Hause nahtlos weitergeht. Gleichzeitig ist der Name Wilhelm ein Beispiel für all die Judofamilien, die den Verein prägen. Ihre Schwester führt die Chronik, ihre vier Neffen Frank, Daniel, die Zwillinge Tom und Steve heimsten nationale Erfolge ein, um jetzt als Helfer, Kampfrichter zu wirken.

Unvollständig wäre dieser Artikel ohne die Namen Emil und Csaba Pákozdi, Judith und ihren verstorbenen Mann Tibor Kelemen. Mit den Ungarn, dem Tutti Judo Klub aus Koroncó bei Györ, sind die Schmalkalder nun bereits seit 24 Jahren verbunden. Jährlich besucht man sich gegenseitig mehrmals. Gemeinsames Training, Wettkampf, Freizeitspaß schweißten Deutsche und Ungarn zusammen, viele Freundschaften sind entstanden und halten.

Judo in Schmalkalden gibt einige Superlative her. Alt-Landrat Ralf Luther sagte, es sei der vielleicht beste Verein im Landkreis überhaupt. Es ist der Verein mit den höchstgraduierten und meisten DAN-Trägern unter seinen 110 Mitgliedern in Thüringen, Landesstützpunkt und Talentleistungszentrum. Rund 25 internationale und nationale Wettkämpfe beschickt der Verein jährlich, veranstaltet selbst fünf Turniere, die Rang und Namen deutschlandweit haben und entsprechende Resonanz. Erstmals in Deutschland nahm Mandy Clemen 1995 eine Bambini-Gruppe Drei- bis Fünfjähriger unter seine Fittiche. Die Judoka sind stets dabei, wenn die Fachwerkstadt sie ruft und braucht, sie helfen anderen und sie treffen sich abseits der Tatami bei Feriencamps, Gartenfesten, zu Freude und Frohsinn. All das wird in zehn weiteren Jahren nicht anders sein.

 

Statistische Übersicht

Medaillen und Platzierungen bei Internationalen Meisterschaften:

 

Klaus-Peter Loch:      Silber WM Ü30 2013, 5. Platz 2011

Danny Paul Kiel:        Bronze Jugend-Europameisterschaften 2007

Stephanie Günsch:    Bronze WM Ü30 2016

Christian Zeilermeier: 3. Weltcup 1999, 7. Paralympics 2000

Anja Kühhirt:               5. Platz Junioren-Europameisterschaften 1999

 

60 Medaillen bei DDR-Meisterschaften (bis 1990)

26 x Gold ( davon 11 x Petra Sonntag, 3 x Heike Marschner

14 x Silber ( davon 12 x Petra Sonntag, je einmal Angelika Wilhelm, Gene Gutschmann

20 x Bronze (9 x  Petra Sonntag, 5x Heike Marschner. je einmal Annette Günsch, Manfred Hollandt, Karin Wolf, Harald Danz, Ralph Clemen, Petra Futterleib

 

Deutsche und Internationale Deutsche Einzelmeisterschaften ab 1990:

13x Gold: davon Danny Paul Kiel 4x (2006 DM und IDM, 2007, 2009, 2013); Je 2x Claudia Funk (1996, 1998); Klaus-Peter Loch (1996, 2018); Stephanie Günsch (1999, 2016); je einmal Anja Kühhirt (1999), Susanne Günsch (2006); Tobias Danz (2017);

7x Silber: Anja Kühhirt 1999; Christian Zeilermeier 2000; Klaus-Peter Loch 2011; Theresa Döhrer 2014; Michael Uellner 2017; Tobias Danz 2018, Dietmar Nagel 2018

16x Bronze: Anja Kühhirt 1998 DM+IDM; Heike Marschner 1991; Stephanie Günsch 1999; Berit Lehmann 2005; Danny Paul Kiel 2008; Sandra Schatt 2011; Theresa Döhrer 2012; Angelika Kaupert 2012; Nicole Herbst 2012; 4x Norbert Börmel (2012, 2013, 2014, 2015); Tobias Danz 2016, Klaus-Peter Loch 2016, Michael Uellner 2018

 

6x Platz 5: Mirko Schäfer 1999 DM; Yvonne Schaft 2001; 2x Stefanie Erbe 2002, 2004; Tina Erbe 2004; Janina Gürth 2008;

6x Platz 7: Nancy Gläser 1997; Frank Wilhelm 1997; Berit Lehmann 2002; 2x Janina Gürth (2005, 2006; Susanne Günsch 2006;

 

Deutsche Mannschaftsmeisterschaften (DMM) bzw. Deutsche Vereinsmannschaftsmeisterschaften (DVMM)

2x Gold: Stephanie Günsch, Alexandra Hübner, Anja Kühhirt (DMM 1999); Yvonne Schaft, Alexandra Hübner (DMM 2000)

1x Silber: U 17 weiblich 1999 DVMM (Stephanie Günsch, Alexandra Hübner, Christin Göhring, Frances Vaak, Ines Brauhardt, Anja Kühhirt)

3x Platz 5: U 18 männlich 2002 DMM; U 17 weiblich 2004 DVMM, U17 weiblich 2005 DMM

1x Platz 7: U 17 männlich 2007 DVMM

202 Medaillen bei Mitteldeutschen Meisterschaften:

60 x Gold; davon 5x Theresa Döhrer; 4 x Anja Kühhirt; 3 x Susanne Günsch und Danny-Paul Kiel; je 2 x Claudia Funk, Nancy Gläser, Stefanie Erbe, Tina Erbe, Annemarie Ender, Steve Wilhelm, Mathias Bickel, Janina Gürth;

53 x Silber; 89 x Bronze;

757 Medaillen bei Landesmeisterschaften:

245 x Gold: davon 11x Janina Gürth; 8 x Nancy Gläser und Theresa Döhrer; 7x Susanne Günsch und Mathias Bickel; 6 x Steve Wilhelm und Claudia Funk; je 5 x Frank Wilhelm, Danny Müller, Christina Weyrauch, Mathias Bickel, Steffen Losse; je 4 x Carolin Zimmer, Yvonne Schaft, Danny-Paul Kiel, Alexander May, Denise Erbe, Tobias Danz, Philipp Leffler; je 3 x Anja Kühhirt, Berit Lehmann, Stephanie Günsch, Klaus-Peter Loch;

193 x Silber; 319x Bronze;

 

54 DAN-Träger:

  1. DAN: Angelika Wilhelm;
  2. DAN: Hans-Dieter Clemen;

4x 5. DAN: Rüdiger Scheerschmidt, Tobias Danz (weitere 2 nicht mehr im Verein)

2x 4. DAN: Christian Zeilermeier, Janina Gürth

4x 3. DAN: Frank Wilhelm, Marcel Bierau, Tobias Danz, Stefan Froh

6x 2. DAN:  Danny Müller, Nancy Gläser (weitere 4 nicht mehr im Verein)

35 x 1DAN: Stephanie Günsch, Klaus-Peter Loch, Stefan Hoffmann, Susanne Günsch, Udo Hildebrandt, Andreas Ullrich, Yvonne Schaft, Marco Vaupel, Janina Gürth, Danny Paul Kiel, Frank Kiel (sowie weitere 18 Sportler, die nicht mehr aktiv bzw. nicht mehr Vereinsmitglied sind)

 

Ausgebildete Trainer:

3 x A-Lizenz: Angelika Wilhelm, Tobias Danz, Gerhard Herrmann

6 x B-Lizenz: Hans-Dieter Clemen, Danny Müller, Janina Gürth, Stefan Froh, Rüdiger Scheerschmidt (weitere 3 nicht mehr im Verein)

26 x C-Lizenz

 

Ausgebildete Kampfrichter:

1 x International: Angelika Wilhelm (IJF-A)

6 x Bundesebene DJB (A): Hans-Dieter Clemen, Stefan Froh, Tobias Danz (3 nicht mehr im Verein);

9 x Bundesebene DJB (B): Stefan Hoffmann, Frank Wilhelm, Marcel Bierau, Tobias Danz  (2 nicht mehr aktiv im Verein);

11 Landeskampfrichter: Yvonne Schaft; 10 Bezirkskampfrichter, 12 Kreiskampfrichter;

8 DAN bzw. Kyu-Prüfer;

 

Ehrungen für den Verein (u.a.):

Sportler des Jahres: 13x 1. Platz, 3×2.Platz,1x 3. Platz;

Vorbildliche Sektion des DJV der DDR 1985; Goldenes Band der Thüringer Sportjugend 2006; Sportförderpreis der Rhön-Rennsteig-Sparkasse 2006 und 2012: